Die Geschichte, wie Masataka Taketsuru zum Vater des japanischen Whiskys wurde, ist oft erzählt worden. Sie ist ja auch spannend und hat viele Besonderheiten. Vor allem, dass er bei den beiden heute führenden Häusern Suntory und Nikka (Teil der Asahi-Gruppe) dabei war, macht seine Stellung recht einzigartig. Und es erklärt, warum Suntory letztes Jahr den 100er beging – unser Tasting mit Keanu Reeves, falls Sie es hier verpasst haben – Nikka allerdings „nur“ 90 Jahre wird. Denn erst nach Ablauf seines Zehn-Jahres-Vertrags zum Aufbau der Suntory-Keimzelle, der Yamazaki-Destillerie, mit Shinjirō Torii startete Taketsuru durch. Mit der eigenen Brennerei in Hokkaido, weit ab von den großen Städten, begann am 2. Juli 1934 die Nikka-Saga.
„Dort liegt der jährliche Verlust an Destillat, der „Angels‘ share“, bei zwei Prozent wie in Schottland“, verweist Naoki Tomoyoshi (am Bild links) auf einen Faktor, der den Gründer in den Norden des Inselreichs trieb. Tomoyoshi-san hat zu seiner Präsentation sogar den größten Schatz aus der Gründerzeit mit: die Notizbücher Masataka Taketsuru aus seiner Lehrzeit in Schottland. Lesen können wir die Reprints beim Tasting im Schumann’s München nicht. Aber die Akribie springt einen aus den Sammlungen aus Tabellen, Aufzeichnungen und Photos an. Dieser Strenge verdankt sich auch der Stil in der „Großen japanischen Saftfabrik“ (Dai Nippon Kaju) – wie Nikka Whisky einst hieß: „Es geht um die Balance und das Mundgefühl“.
Dafür hat man eine Fülle an Chargen aus den beiden Standorten Yoichi und Miyagikyo zur Verfügung, aber auch Whisky aus Schottland („Ben Nevis“ ist Teil von Mutter Asahi), der vor allem im „Nikka From the Barrel“ – mit seinen 100 Einzel-Whiskys – zum Einsatz kommt. Das beginnt bei unterschiedlich langer Vergärung, die in Yoichi generell einen Tag länger dauert. Zudem wird in der Keimzelle des Whiskyherstellers noch mit Kohle geheizt, was laut Naoki Tomoyoshi einen wesentlich anderen Whisky ergäbe.
Tatsächlich gefiel uns der „Yoichi 10 years“ ausnehmend gut, was aber weniger an der Energiequelle als am Torfmalz (auch das bezieht man aus Schottland) liegt. Anfangs ist davon kaum etwas zu riechen, denn Früchte wie Birne, Ananas und jugendliche Zwetschke beherrschen das Duftbild. Erst allmählich und über den Dörrzwetschken-Geruch geht es in Richtung eines dezenten Rauchs. Dann kommt ein Schwall von leichtem „Smoke“ hinzu, der an eine geräucherte Lachshaut erinnert. Elegant und mit feiner Würze von Beginn an prunkt dieser Japan-Malt, der Schwarztee, erneut Dörrzwetschken und ausgeprägte Nuss-Schoko-Geschmack zeigt. Der Rauch ist dabei wunderbar integriert, stellt sich aber hinter den herzhaften Noten an. Hier stimmt einmal das Wort vom „Umami“-Geschmack; zum Beißen dicht ist der „Yoichi 10 years“. Und der 45%-ige Whisky klingt auch lange aus.
Steinobst und ein Dessert-Buffet aus der „Discovery Series“
In Hinblick auf den anstehenden 90. Geburtstag hat man auch die „Discovery Series“ ins Leben gerufen. Sie soll einen Blick hinter die Kulissen ermöglichen bzw. auch eine experimentellere Serie der Brennerei. Der „Miyagikyo Aromatic Yeast“ bedeutet mit seinem Namen, dass es hier um die Hefe hinter dem Whisky geht. Tatsächlich hat man „hunderte Hefestämme vorrätig“, wie Naoki Tomoyoshi berichtet. Immer wieder wird ganz nach japanischem Total Quality Management versucht, noch bessere Hefen zu finden. Dabei kämen wie bei einem Fußball-Turnier nicht alle ins Finale. Die letztlich für die limitierte Abfüllung aus Miyagikyo verwendete Kultur etwa stand bereits vor dem „Aus“. Allerdings besieht man sich die gebrannten Chargen auch noch nach der Reife. Und da entpuppte sich die vermeintliche Ausschussware als echte Fruchtbombe!
Wie ein Steinfrucht-Cocktail duftet dieser Whisky nach Mispel, Pfirsich und Ananas. Doch es bleibt nicht bei diesem ausgeprägten Duft. Hell und doch zupackend in seiner Fruchtigkeit, erinnert der Mittelteil des „Miyagikyo Aromatic Yeast“ an beste Marillendestillate aus der Wachau. Ja, so intensiv ist hier die Frucht ausgeprägt! Mit 47% vol. hat man dem Whisky aber genügend Kraft bei der Abfüllung gegeben, um diese Üppigkeit auch auszugleichen. Und immerhin darf das Malz auch noch mitreden beim Hefe-Experiment. Mit ein paar würzigen Glanzlichtern setzt es auch starke Lebenszeichen. Das war zweifellos der ungewöhnlichste Single Malt im „Schumann’s“-Tasting!
Nicht minder spannend hingegen war die Geschichte hinter „The Grain“, der seit 2017 abgefüllt wird. Er sollte eine Edelversion der Grain Whiskys liefern, die bei den japanischen Blends (hier etwa dem „Nikka Days“) so wesentlich für die Milde sind. „The Grain“ verbindet dazu drei verschiedene Getreide-Destillate: Mais, Roggen und nicht gemälzte Gerste sind im Spiel. Wobei letztere noch im Vakuumdestillationsverfahren gebrannt wurde, um besonders helle und weiche Noten der Rohfrucht zu erhalten. Diese Whiskys vermählte man mit Chargen des „Coffee Grain“. Allerdings befanden sich darunter auch solche aus dem Brennjahrgang 1998. Sie kommen aus der aus der heute nicht mehr aktiven Nishinomiya-Destillerie.
Das hebt die Komplexität schon einmal, auch wenn man weiter der sanften Linie treu bleibt. Der verführerische Geruch eines ganzen Dessert-Buffets steigt hier aus dem Kostglas! Erste Duftnoten nach Nougat, Marzipankartoffeln und kandierten Veilchen bringen die leichte Getreide-Süße bereits im Duft mit. Wie süße Kaffeecreme kleidet dieser Leckerbissen dann den Gaumen aus. Der Roggen-Anteil sorgt aber für eine nussig-würzige Ader, die bei „The Grain“ vor allem im Finish noch anschwillt. Wunderschön cremig und eben doch mit zart konturierten Kanten klingt dieser Nikka aus. Und er zeigt, wie vielfältige Möglichkeiten das japanische Modell gibt – vom rauchigen Umami-Typ bis zum Weichkaramell.
Bezugsquelle:
Nikka Whisky, Yoichi 10 Jahre ist um EUR 140,- erhältlich; der Miyagikyo 2022 „Aromatic Yeast“ kostet EUR 230,- und der „The Grain“ wird um EUR 130,- angeboten – Alle Whiskys über Whic.de, https://whic.de