Der Auftritt von Campari im Rahmen des Berliner Bar Convents (BCB) ist jetzt schon legendär. Einige der besten Bartender der Welt – von Monica Berg und Ago Perrone bis zu Charles Schumann – gaben sich in der Torstraße 1 ein Stelldichein. „The Grand Campari Hotel“ feierte die Aperitiv-Kultur bei feinstem Jazz, hatte aber auch eine Suite für David Morrison reserviert. Rum-Liebhaber schnalzten mit der Zunge in diesem Raum des Soho House. Denn der Senior Blender von Appleton Estate führte durch ein Tasting, das mit einer veritablen Rarität, dem 29-jährigen Jamaica-Rum aus der „Hearts Collection“, aufwartete. Der Mann aus dem Nassau Valley bringt zudem eine gewissen Ähnlichkeit mit Samuel L. Jackson mit. Und wenn man die Augen schließt, während er spricht, erinnert der Akzent der Karibikinsel an Peter Tosh selig.
Doch solche privaten Assoziationen hat der Rumerzeuger nicht nötig, immerhin stellt das 11.000 acres große Anwesen in der Region (parish) St. Elizabeth die älteste durchgehend betrieben Brennerei der Rum-Welt dar. 1749 begann die Zucker-Verarbeitung, die heute mit Pot Still und Kolonnenbrennerei erfolgt. So witzig und gesprächig Mister Morrison auch ist: „Zum genauen Verhältnis dieser beiden Destillate darf ich nichts sagen“. Denn die Abstimmung der Blends ist das Betriebsgeheimnis der Jamaikaner, die seit 2012 zur Campari-Gruppe gehören.
Mit dem Klassiker des Hauses, dem immerhin auch schon 12 Jahre gereiften „Rare Casks“ begann das Berliner Tasting. Die Jamaica-typische Nase erinnert an Ananas, braune Banane und Haselnuss. Intensiv ist auch der Kostschluck des 43%-igen Rums, der ebenfalls die Mischung aus Haselnuss und Maroni-Püree mitbringt. Erst final gesellt sich eine fruchtige Ader dazu; dann schmeckt man Ananas, Vanille und eine lange anhaltende Würzigkeit, die vor allem an den jamaikanischen Liebling „Allspice“ alias Piment erinnert.
Diesem Auftakt folgt der „21 years“ der anfangs fast Holzleim-Noten aufweist. Man spürt förmlich, wie dieser jamaikanische Flaschengeist aus seiner Flasche strömt und sich freut, ein vielfältiges Geschmacksbild mitzubringen. Zunächst kristallisieren sich florale Noten wie getrockneter Lavendel (!) heraus, Kokosnuss ist sehr präsent, auch eine an Pralinen erinnernde helle Schoko-Note. Allerdings praktisch keine Obst-Assoziationen! Entsprechend legt der „Nassau Valley Casks“, wie diese Abfüllung auch heißt, sich wie ein Schoko-Film auf die Zunge. Dann dauert es nur kurz und die trocken, gewürzigen Noten stellen sich ein: Szechuan-Pfeffer, auch hier Piment, und auch Salz. Zusammen mit dem alkoholischen Biss des 43% vol. starken Rums ergibt das ein sehr lange anhaltendes Finale, das regelrecht zum Einspeicheln anregt. Als kleinen Bonus belohnt er die wieder benetzte Zunge mit seinem feinen Nachgeschmack von Bananen-Chips.
Dann aber kommt der unerwartete Höhepunkt für alle, die das Ticket für die Verkostung gelöst haben. Als Single Potstill-Rum zeigt der „1993“ aus der eingangs erwähnten Hearts Collection von Appleton Estate die jamaikanische Stilistik in einer sehr ungewöhnlichen, reifen Form. „Es gab lediglich 3.600 Flaschen davon“, unterstreicht David Morrison den besonderen Moment noch. Dass der Rum mit der Fass-Stärke von 63% gefüllt wurde, überraschte. Denn nach immerhin 29 Jahren (abgefüllt wurde 2022) ist das recht viel Alkohol. Doch die Pot Still-Rums werden in der Regel mit 86% vol. destilliert und mit 80% in die Fässer gefüllt. Das Ergebnis hat so starke Ester-Noten, dass man in der Nase an einen Rhum Agricole erinnert wird; Grüne Banane, Mandel-Schokolade, Gianduja, dazu aber auch Rohkaffee und Laugenbrezel spannen eine extreme Bandbreite an Düften auf.
Dieser Komplexität entspricht auch ein ungewöhnlicher Geschmack, wenn man seine persönliche Wasser-Menge gefunden hat, um den „1993“ zu zähmen. An diesem Sweetspot des Rums schmeckt er dann nach Nutella mit etwas fruchtigem Chili, das Mandelkonfekt ist auch wieder zu erkennen und am Ende hat man fast kandierte Rosenblätter auf der Zunge. Als wäre das nicht schon Rum-Vergnügen genug, gibt es noch eine Runde „Mai Tai“ zum Abschied aus dem jamaikanischen Hotelzimmer. Denn auch der originale Tiki-Drink bei Victor „Trader Vic“ Bergeron wurde einst mit einem Appleton Estate-Rum gemixt – „das war ein 17-jähriger von uns“, so David Morrison. Lose vereinbaren wird, dass wir ihn bei unserem nächsten Treffen verkosten werden. Denn die Brennerei hat in diesem Jahr eine Hommage an diesen Cocktail-Rum aufgelegt.
Bezugsquellen:
Appleton Estate, Rare Blend 12 years kostet EUR 38,90 beim Spezialisten Rumzentrum, www.rumzentrum.at
Appleton Estate, 21 years „Nassau Valley Casks“ ist um EUR 129,- bei Interspar und online erhältlich, www.interspar.at
Appleton Estate, Hearts Collection 1993 wird um EUR 549 z. B. von Rum-Paradise angeboten, www.rum-paradise.de