Die Elite waren immer wenig. Diesen Satz streuen wir gerne ein, wenn wieder irgendwo Absagen die Teilnahme an einer Fahrt in die Rieden, einer Verkostung oder einfach „dem Dabeisein“ reduzieren. Im Falle der Winzer aus der Thermenregion, die sich den Regularien der Österreichischen Traditionsweingüter (ÖTW) unterziehen, gilt dieser Schmäh aber als harte verbale Währung. Anders gesagt: Man kann jetzt bejammern, dass aus der historisch wichtigen, Wien-nahen Gegend aktuell gerade neun Betriebe daran interessiert sind, historische und aktuelle Qualität der Rieden übers Schmähtandeln und den Selbstläufer namens Heurigen-Verkauf stellen.
Das große „Aber“: Es ist ein Anfang! Und als solchen möchten es die Protagonisten auch verstanden haben. Sorten-underdogs, teilweise erst spät deklarierte Lagen und solche mit wenig überregionaler Bekanntheit reichen sich hier die Hände. Auch die kellertechnische Handhabung ist völlig unterschiedlich: Ganztrauben-Pressung und Maische-Kontakt treffen auf unspektakulär klassische Arbeit. Und doch geht es um das Besser-Werden, aber auch die Bewahrung von Sortenraritäten. „Sie werden heute neue Worte hören: Zierfandler und Rotgipfler“, leitete Bernhard Stadlmann die Verkostung der Rieden-Weine ein, die ab der Ernte 2023 gerne mit dem Logo „1ÖTW“ gefüllt würden. Und für die internationalen Gäste waren es mitunter echte Novitäten.
Was in der vollmundige Ansage in der Vinothek Thallern gipfelte, „wohl den besten Zierfandler-Flight der Welt zu verkosten“. Was angesichts der Dominanz der Thermenregion mit ihren 62 Hektar (vielleicht 2/3 des Weltbestands) sicher auch stimmte. Und wenn man nichts schönredet, dann standen den ideal-typischen Beschreibungen (Worte, Worte) mitunter Weine gegenüber, die diesen Bilderbuch-Schilderungen nicht immer entsprachen. Immerhin hatten es die Verkoster mit unterschiedlichen Jahrgängen zu tun, aber auch Winzern, die teilweise stur gegen die Charakteristik der Sorte arbeiten müssen. Denn der spät reifende und entsprechend „fette“ Rotgipfler kann auf verschiedene Weisen mehr Struktur bekommen. Säure und damit frühzeitige Lese ist eine Variante, mehr Maischekontakt, der mit Gerbstoff-Eintrag auch Frische und Trinkanimo einbringt, eine andere.
Dazu kommen interne Umdenkprozesse, die man aber nur erkannte, wenn man die Thermenregion schon ein Zeiterl im Kostglas verfolgt. Johannes Gebeshubers „Modler“ 2019 war etwa vielleicht die schlankste Version dieses „Powerhouses“ von Zierfandler, seit wir das Weingut kennen. Nussig wie Hanfsamen und mit dem schönen Oxymoron von kühler Tropenfrucht ließ sich der Gumpoldskirchner von bis zu 60 Jahre alten Stöcken an. Grüne Banane und Koriander, vor allem aber eine frische Säure dieses 2019er Jahrgangs, verbanden sich mit Gallia-Melone und etwas Orangen-Fruchtfleisch. Fazit: Herrlicher Kandidat zum Weglegen, aber viel schlanker und präziser als der stoffige Typus der früheren Jahrgänge!
Ähnliches kann man von Leo Aumann behaupten, dessen Weißweine immer raffinierter werden. Das schrieben wir hier schon vor einem halben Jahr angesichts seines Chardonnays, doch was er aktuell an Zierfandler in die Flasche bringt, ist vielleicht der präziseste Ausdruck dieser Säure-reichen Sorte (die aber nur selten diese Frische auch zeigt!) unter dem Spitzenerzeugern dieser Rarität. Mandelcreme, Haferkekse und eine zarte Nussbutter-Note signalisieren, dass man sich hier nicht auf die Fruchtseite schlagen wollte. Struktur herauszuarbeiten war wesentlich – auch wenn in zweiter Lesung ein wenig Ananas frech ihre Duftspur setzt.
Hier bringt ebenfalls die feine Säure, ja, sogar ein dezentes „Pfefferl“, den Trinkspaß hervor. Der fruchtige Mix aus Gelber Kiwi, Ananas und Maracuja bekommt so mitunter eine tänzelnde Lässigkeit. Papaya und Guave als rotfruchtig-exotischen Gruß hat sich die „Ried Hofbreite 2019“ dann für das Finale abgehoben. Ein großartiger Sortenvertreter, der hier aus Gumpoldskirchen – dort befindet sich die „Hofbreite“ – am Weingut Aumann eingebracht wurde. Und das zu einem höchst attraktiven Preis, um auch noch die letzte Ausrede gegen diese endemische Rarität zu zerstreuen.
Ganz anders legte Bernhard Stadlmann den 2020er von einer der bekanntesten Zierfandler-Rieden an. „Mandelhöh“ soll für den Traiskirchner vor allem die „Kühle und das Säure-Level“ der Sorte akzentuieren. Die Nase bringt dies als Mix aus Ringlotten-Saftigkeit, getrockneter Kamille und einer generell gelb grundierten Blüten-Duftigkeit zum Vorschein. Ein Quäntchen kühle Birne, als kleiner und einziger Hinweis auf etwas Opulenz lässt sich allenfalls Orchideen-Duft notieren. Auch am Gaumen ist die „Mandelhöh 2020“ voller Leben; Teekräuter satt, Tropenfrucht in sehr dosierter Form und eine klare Erkenntnis liefert der Kostschluck: Wie viele Stadlmann-Weine wird auch dieser noch deutlich zulegen – auf einem Top-Ausgangslevel. Um es im Börsianer-Jargon zu sagen: Eine klare Empfehlung für „hold“!
Das Pendant in Sachen Rotgipfler – auch gegen das Klischée und die Üppigkeit – schenkte dann Stefan Landauer-Gisperg ein. Der Weißwein des Tattendorfers stammt von der Riede Bockfuß, einem erhöhten Weingarten am Badener Berg. „45 bis 50 Jahre alte Stöcke mit geringem Ertrag“, so der Winzer, ergeben einen 2021er Rotgipfler, der nach Papiernuß, Golden Delicious-Apfel und Mandelcreme riecht. Die offene und gelbfruchtige, aber keineswegs süße Duftnote, wird am Gaumen von einer präzisen und zart salzig unterlegten Charakteristik fortgesetzt. Dem vollmundigen Beginn, in dem dezent die exotischen Früchte (Papaya vor allem) glänzen dürfen, folgt Pikanz. Gedämpfte Rote Paprika liefert diesen Akkord, der sich mit den ebenfalls roten Tropenfruchtnoten verbindet.
Der Clou ist allerdings der Gerbstoff, den der Schalenkontakt im Ausbau des „Ried Bockfuß“ ergeben hat. Er legt ein animierendes Finale hin, das den oft so breiten Rotgipfler plötzlich in einem erfrischend trinkfreudigen Licht erscheinen lässt. Vielleicht war auch das der „weltbeste Flight“ – wenngleich hier nicht der Zierfandler der Star war?
Sicher stimmt das, wenn man auch die vier gereiften Sortenvertreter dazu nimmt, die einen eigenen Flight stellten. Florian Alphart zeigte mit dem „Ried Rodauner“ das prächtigste Exemplar im traditionellen Stil. Mango pur in der Nase, dazu auch strahlende gelbe Fruchtigkeit und Mandel, frisch gedroschenes Stroh sorgten für ein sattes Duftbild. Doch auch hier geht es um die Säure – und sie ist am Gaumen sofort da. Weiße Schokolade und Papaya liefern Schmelz und Saftigkeit. Die jugendliche Frische hat sich die „Top Selection“ aus Traiskirchen erhalten. Erstaunlicher war das eventuell noch beim 2013er, den Karl Alphart aus dem Archiv des Betriebs für die Verkostung beigesteuert hatte. Hier meint man fast Ananas prickeln zu spüren am Gaumen. Und genau das wollte man schließlich auch zeigen: Die Region verfügt über Lagen, die für Reifepotential gut sind. Und damit künftig auch 1ÖTW-würdig.
Bezugsquellen:
Weingut Leo Aumann, Zierfandler „Ried Hofbreite“ 2021 kostet EUR 12,49 bei Vinotaria, https://vinotaria.at
Weingut Stadlmann, Zierfandler „Ried Mandelhöh“ 2020 ist um EUR 39,90 in den Filialen von Wein&Co. sowie online erhältlich, https://www.weinco.at
Winzerhof Landauer-Gisperg, Rotgipfler „Ried Bockfuß“ 2021 kostet EUR 16,- ab Hof bzw. im Online-Shop, https://winzerhof.eu
Weingut Gebeshuber, Zierfandler „Ried Modler“ 2019 ist um EUR 32 ab Hof bzw. im Webshop des Winzers zu haben, https://weingut-gebeshuber.at
Weingut Alphart, Rotgipfler „Ried Rodauner“ 2017 ist um EUR 39,69 im Online-Versand „Vinorama“ gelistet, www.vinorama.at