Den Tag der Arbeit kann man auch weit unangenehmer begehen. Nach einem Tee beim Neffen von Queen Elisabeth II, Viscount David Linley, wartet das Dinner mit Winemaker Peter Gago. Die Zusammenarbeit der beiden zum 170. Bestehen der südaustralischen Penfolds Winery hat die Form eines mit Kompass versehenen Holzkistchens. Denn Linley ist Holzdesigner bzw. macht in „bespoke furniture und cabinets“, was dann nicht nur britischer, sondern auch edler klingt. Doch nicht die Nummer 17 (die ist der Viscount in der britischen Thronfolge), sondern die Zahl drei fasziniert uns. Denn so viele Flaschen wird Gago entkorken, zwei davon vom Kultwein Grange.
Erstes Muskelspiel
Den 2004 auf den Markt gekommene Grange 1999 bezeichnet Gago beim Einschenken als „sleeping vintage“, also einen Jahrgang, der sein Potential spät zeigt. 15 Jahre nach seiner Ernte scheint die Schönheit zu erwachen: Powidl, zarte Heidelbeer-Noten, Minze, Kaffee, Zigarrenrauch und unerklärlicher Weise viel Mohn sind im Bouquet präsent. Vermutlich könnte man noch weitere Zeilen füllen, je mehr der Australier sich öffnet. Am Gaumen zeigt sich die Klasse des Weins in einem süßen Kern, den vor allem Himbeer-Aromen bilden. Plötzlich aber scheint die Würze richtiggehend zu explodieren, wie aus dem Nichts erscheint eine satte Minznote, die gegen Ende richtig pfeffrig wirkt. Momentan haben wir hier immer noch ein Baby vor uns, aber eines mit den besten Anlagen. Das Potential dieses Jahrgangs jedenfalls ist gewaltig, er spielt gerade erst mit den Muskeln.
Verschlossene Schatztruhe
So gewaltig die Unterschiede zum Grange des Vorgängerjahres – 1998 – sind, in diesem Punkt gleichen sich die Notizen: bitte zuwarten. Deutlich verschlossener wirkt die Cuvée aus 97% Syrah und 3% Cabernet Sauvignon am Gaumen. Der Duft mit seiner fast aberwitzigen Würze (Bohnenkraut vor allem), dazu Teer und reife Johannisbeeren hatte einen lebendigeren Wein erwarten lassen. Doch der 1998er prunkt zwar förmlich mit seiner intensiven, tiefdunklen Art, die an Tinte und Graphit denken läßt, momentan dominiert das Holz noch sehr, gegen Ende zeigt ein herber und fast trocknender Zug, dass hier die Tannine noch ein wenig weicher werden sollten – wohlgemerkt nach 16 Jahren. Hier liegt ebenfalls die Startlinie des Langstreckenlaufs gerade in Sichtweite.
Was daraus werden kann, zeigte jener Wein, der definitiv in meine persönliche Top 5 gehört, der Kalimna Shiraz-Coonawarra Cabernet (Bin 60 A) aus dem Jahr 1962. Mehr Auszeichnungen erhielt kein Penfolds-Wein seit Bestehen des Weinguts. Der legendäre Max Schubert hat den Blend aus einem Drittel Coonawarra Cabernet und zwei Dritteln Barossa Shiraz komponiert, der als einer der größten Australier – manche halten ihn für DEN größten – gilt.
Strahlen nach 52 Jahren
Ein Wein, der wohlgemerkt 52 Jahre alt ist, und – durchaus zum Schrecken Gagos, der lieber kürzer dekantiert hätte – dreizehn Stunden lang atmen konnte in Londons Top-Vinothek Hedonism Wines. Der laut Gago schlicht „legendäre Wein“ wird seinem Ruhm gerecht: Zarte Zwiebelschalen-Bräunung am Rand, aber im Geruch von einer Mischung geprägt, die Schokotrüffel, rohes Fleisch und Steinpilze neben Waldboden umfaßt. Erdig also und intensiv, während der Gaumen ein Feuerwerk abfeuert, dass ganz andere Aromen bietet.
Es ist einer jener seltenen Weine, der mehrere Akte, deutlich unterschieden und wie im Zeitraffer bietet. Zunächst steht die leichte Süße im Vordergrund, ehe eine lebendige, überraschend präsente Säure sagt „das ist noch nicht alles“. Jetzt schlägt die Stunde der Würzigkeit, Soja und Sherry, auch intensive Nußnoten breiten sich aus am Gaumen. Damit nicht genug, kommen im Abgang noch Erdbeeren und Rosinen dazu, fast so, als solle keiner sagen, hier fehlten Fruchtaromen. Grandios, fast Portwein-ähnlich, klingt dieses Festspiel aus. Der Applaus dafür will nicht enden. Auch für Schubert-Nachfolger Gago nicht, der die 1.600 Pfund-Flasche (zuletzt bei Christie’s erzielt) öffnete. Chapeau! Und Vorhang zu.
Bezugsquelle:
Penfolds Kultwein „Grange“ Jahrgang 2007 ist um EUR 549,-, der Grange 2008 um EUR 699,- im Fine Wine-Bereich von Wein&Co. erhältlich, www.weinco.at