Vivat Oleo Saccharum! Die Chemie macht die Arbeit, wir genießen einen Cocktail damit
Wären wir ein normales Food-Blog, würden wir uns jetzt gar nicht mehr einkriegen. Hashtag-Gewitter, Insta-Stories! Denn die Bergamotten der Ernte 2021 kommen gerade aus Kalabrien zu uns. Den Kult um die Zitrusfrüchte lassen wir aber gern andere Digital-Kollegen befeuern. Wichtiger ist, was man aus den unglaublich aromatischen Früchten machen kann. Und dass das bei uns nicht mit einer Marmelade (gähn!) endet, sondern im Shaker, darf man als gesetzt annehmen. Der „Umweg“ von der gelben Zitrusfrucht ins Cocktailglas führt in diesem Falle über die Zuckerschüssel. Und jetzt gibt’s doch noch ein Rezept!
Der Ölzucker und wie er in die Welt kommt
Denn vom Oleo Saccharum sollte man zumindest einmal gehört haben. Es ist eine der cleversten Aroma-Speicherungen, die es gibt. Und auch für Köche mit drei linken Händen locker zu bewerkstelligen. Lassen wir die Chemie die ganze Arbeit machen! Das Zauberwort heißt „hygroskopisch“ – wie Salz zieht auch Zucker Flüssigkeiten an. Da ist der auch hartnäckig: Im Gegensatz zu Vampiren schläft der Zucker tagsüber nicht und entzieht den Zitrusfrüchten gnadenlos auch den letzten Lebenssaft. Ätherische Öle, das Geheimnis der Bergamotte als Earl Grey-Würze, lassen sich so vom Flüssigen ins Feste bringen. Man muss die beiden nur kurz zusammenlassen.
Also flugs die Zitrusfrüchte schälen! Was wir jetzt mit Bergamotten machen, gilt für jeden Ölzucker, solange die Früchte unbehandelt blieben, also in Bio-Qualität gekauft wurden. Das Weiße zwischen Schale und Fruchtfleisch heißt Albedo (wieder was gelernt!) und soll bitte NICHT auf den Schalen bleiben. Erstens wirkt es wie ein Filter, zweitens ist es nur bitter. Die reinen Zesten aber werden in kleinen Stücken in ein Gefäß geschlichtet und dann mit Zucker bedeckt. Ordentlich drauf klopfen (wahlweise mit Messerknauf oder Caipirinha-Stössel). Die Zuckerkristalle sollen alles an Oberflächenstruktur zerstören, was bei den Bergamotten da ist. Nur so ergießen sich die Öle in den Zucker, so brutal die Schilderung klingt.
In der Regel sollten 24 Stunden für den Aufsaug-Prozess ausreichen. Doch fertig ist der Oleo Saccharum erst, wenn es glasig wird im Zucker-Schälchen. Das mag mitunter auch zwei Tage dauern; sind ja nicht alle gleich saftig im Lande Agrumen. Leicht breiig sollte die Konsistenz am Ende sein. Der Zucker schimmert dann wie geschlagener Eischnee – und duftet wie der frische Bergamottensaft. Dann ist der Ölzucker am Punkt!
Die Zesten kommen dann raus und werden aber skrupulös vom Zucker gereinigt. Wer schon viel zu lange einen Pinsel in der Küchenschublade hat: Jetzt wäre sein glorreicher Auftritt! Denn die Kristalle direkt an den Zesten haben am meisten Aromen aufgesogen. Den Ölzucker kann man nun weiterverarbeiten. Eine Variante wäre ein „Sherbet“, also die Kombination mit einer Flüssigkeit. Das könnte der Zitrussaft (bei uns eben Bergamotte) sein oder einfach Wasser. Diese Flüssigkeit ist würzkräftig und süßsauer. Doch auch der Zucker selbst bringt die volle Zitruskraft und seine ursprüngliche Süße mit.
Der Anwendungsmöglichkeiten gibt es daher gar viele: Eine unvergessliche Glasur mit Eiklar und Oleo Saccharum für Mürbteig-Kekse, aber auch Fruchtgelées lassen sich herrlich darin wälzen. Aber bleiben wir bei den flüssigen Ideen. Da funktioniert unser Ölzucker natürlich perfekt als „shortcut“ für Cocktails, die Zitrus und Zucker für die Süße-Säure-Balance nutzen. Im Grunde reicht eine Zutat, um mit Rum einen Feinen Mix zu kreieren. Und darauf baut auch unsere Eigenkreation „Roleo & Juliet“ mit seinem unglaublich wort-kreativen Namen auf. Er erweitert die Zutaten-Liste, liefert dafür aber einen komplexen Longdrink mit schönem Spiel zwischen säurig-herben Noten und Süße. Südliches Feeling aus der eigenen Küche!
Roleo & Juliet
(Trinkprotokoll.at, 2021)
Zutaten:
2 cl Vieux Agricole-Rhum (z. B.: J. M. Rhum)
2 cl Demerara-Rum
1 cl Bergamotten-Saft
1 cl Orgeat (Mandelsirup)
1 Tee-Löffel Bergamotte-Oleo Saccharum
Fentimans „Valencia Orange“ Tonic Water
Zubereitung:
Mit Ausnahme der Orangen-Limonade alle Zutaten im Shaker zuerst ohne Eis, dann kurz mit Eis shaken. Ins mit Eis gefüllte Glas abseihen und mit dem Valencian Orange-Tonic aufgießen.
Der Rum-Mix aus zwei Ländern ist übrigens keine Manieriertheit; der Blend gibt mehr Finesse und ist seit jeher ein Standard bei Tiki-Drinks – dort allerdings wird meist noch mit einem hochprozentigen Jamaika-Rum („Overproof“) zur Trinität des Zuckerrohrs ergänzt. Alternativ gehen auch vier bis fünf Zentiliter eines körperreichen (!) Rums aus Barbados oder Jamaika. Spanische Antillen-Rums sollte man hier eher meiden. So köstlich sie sonst sein können.
Bezugsquelle:
Fentimans „Valencia Orange“ ist um EUR 1,39 (0,125 Liter – die ideale Menge für unseren Drink!) bei BeerLovers im Webshop zu haben, www.beerlovers.at
Wenn Dir das Leben Bergamotte gibt, mach‘ den Ölzucker daraus!
By Roland Graf · On 20. Januar 2021Wären wir ein normales Food-Blog, würden wir uns jetzt gar nicht mehr einkriegen. Hashtag-Gewitter, Insta-Stories! Denn die Bergamotten der Ernte 2021 kommen gerade aus Kalabrien zu uns. Den Kult um die Zitrusfrüchte lassen wir aber gern andere Digital-Kollegen befeuern. Wichtiger ist, was man aus den unglaublich aromatischen Früchten machen kann. Und dass das bei uns nicht mit einer Marmelade (gähn!) endet, sondern im Shaker, darf man als gesetzt annehmen. Der „Umweg“ von der gelben Zitrusfrucht ins Cocktailglas führt in diesem Falle über die Zuckerschüssel. Und jetzt gibt’s doch noch ein Rezept!
Der Ölzucker und wie er in die Welt kommt
Denn vom Oleo Saccharum sollte man zumindest einmal gehört haben. Es ist eine der cleversten Aroma-Speicherungen, die es gibt. Und auch für Köche mit drei linken Händen locker zu bewerkstelligen. Lassen wir die Chemie die ganze Arbeit machen! Das Zauberwort heißt „hygroskopisch“ – wie Salz zieht auch Zucker Flüssigkeiten an. Da ist der auch hartnäckig: Im Gegensatz zu Vampiren schläft der Zucker tagsüber nicht und entzieht den Zitrusfrüchten gnadenlos auch den letzten Lebenssaft. Ätherische Öle, das Geheimnis der Bergamotte als Earl Grey-Würze, lassen sich so vom Flüssigen ins Feste bringen. Man muss die beiden nur kurz zusammenlassen.
Also flugs die Zitrusfrüchte schälen! Was wir jetzt mit Bergamotten machen, gilt für jeden Ölzucker, solange die Früchte unbehandelt blieben, also in Bio-Qualität gekauft wurden. Das Weiße zwischen Schale und Fruchtfleisch heißt Albedo (wieder was gelernt!) und soll bitte NICHT auf den Schalen bleiben. Erstens wirkt es wie ein Filter, zweitens ist es nur bitter. Die reinen Zesten aber werden in kleinen Stücken in ein Gefäß geschlichtet und dann mit Zucker bedeckt. Ordentlich drauf klopfen (wahlweise mit Messerknauf oder Caipirinha-Stössel). Die Zuckerkristalle sollen alles an Oberflächenstruktur zerstören, was bei den Bergamotten da ist. Nur so ergießen sich die Öle in den Zucker, so brutal die Schilderung klingt.
In der Regel sollten 24 Stunden für den Aufsaug-Prozess ausreichen. Doch fertig ist der Oleo Saccharum erst, wenn es glasig wird im Zucker-Schälchen. Das mag mitunter auch zwei Tage dauern; sind ja nicht alle gleich saftig im Lande Agrumen. Leicht breiig sollte die Konsistenz am Ende sein. Der Zucker schimmert dann wie geschlagener Eischnee – und duftet wie der frische Bergamottensaft. Dann ist der Ölzucker am Punkt!
Die Zesten kommen dann raus und werden aber skrupulös vom Zucker gereinigt. Wer schon viel zu lange einen Pinsel in der Küchenschublade hat: Jetzt wäre sein glorreicher Auftritt! Denn die Kristalle direkt an den Zesten haben am meisten Aromen aufgesogen. Den Ölzucker kann man nun weiterverarbeiten. Eine Variante wäre ein „Sherbet“, also die Kombination mit einer Flüssigkeit. Das könnte der Zitrussaft (bei uns eben Bergamotte) sein oder einfach Wasser. Diese Flüssigkeit ist würzkräftig und süßsauer. Doch auch der Zucker selbst bringt die volle Zitruskraft und seine ursprüngliche Süße mit.
Der Anwendungsmöglichkeiten gibt es daher gar viele: Eine unvergessliche Glasur mit Eiklar und Oleo Saccharum für Mürbteig-Kekse, aber auch Fruchtgelées lassen sich herrlich darin wälzen. Aber bleiben wir bei den flüssigen Ideen. Da funktioniert unser Ölzucker natürlich perfekt als „shortcut“ für Cocktails, die Zitrus und Zucker für die Süße-Säure-Balance nutzen. Im Grunde reicht eine Zutat, um mit Rum einen Feinen Mix zu kreieren. Und darauf baut auch unsere Eigenkreation „Roleo & Juliet“ mit seinem unglaublich wort-kreativen Namen auf. Er erweitert die Zutaten-Liste, liefert dafür aber einen komplexen Longdrink mit schönem Spiel zwischen säurig-herben Noten und Süße. Südliches Feeling aus der eigenen Küche!
Roleo & Juliet
(Trinkprotokoll.at, 2021)
Zutaten:
2 cl Vieux Agricole-Rhum (z. B.: J. M. Rhum)
2 cl Demerara-Rum
1 cl Bergamotten-Saft
1 cl Orgeat (Mandelsirup)
1 Tee-Löffel Bergamotte-Oleo Saccharum
Fentimans „Valencia Orange“ Tonic Water
Zubereitung:
Mit Ausnahme der Orangen-Limonade alle Zutaten im Shaker zuerst ohne Eis, dann kurz mit Eis shaken. Ins mit Eis gefüllte Glas abseihen und mit dem Valencian Orange-Tonic aufgießen.
Der Rum-Mix aus zwei Ländern ist übrigens keine Manieriertheit; der Blend gibt mehr Finesse und ist seit jeher ein Standard bei Tiki-Drinks – dort allerdings wird meist noch mit einem hochprozentigen Jamaika-Rum („Overproof“) zur Trinität des Zuckerrohrs ergänzt. Alternativ gehen auch vier bis fünf Zentiliter eines körperreichen (!) Rums aus Barbados oder Jamaika. Spanische Antillen-Rums sollte man hier eher meiden. So köstlich sie sonst sein können.
Bezugsquelle:
Fentimans „Valencia Orange“ ist um EUR 1,39 (0,125 Liter – die ideale Menge für unseren Drink!) bei BeerLovers im Webshop zu haben, www.beerlovers.at
Autor: Roland Graf
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