„Man darf nie aufhören neugierig zu sein“. Wenn das ein Winzer sagt, dann preist er meist seinen ersten maische-vergorenen Wein an, irgendwas Ungeschwefeltes oder sonst wie Hippes. Norbert Bauer allerdings fasst so zusammen, warum ein für heimische Verhältnisse riesiges Weingut (90 Hektar) versucht, einen dritten Weg zu finden. Zwischen den knackfrischen säure-betonten Weinen, für die das Weinviertel, seine Heimat, berühmt ist, und überfrachteten Exemplaren mit Überreife und/oder Holzeinsatz. Das klingt abstrakt und lässt sich auch nicht in jedem Wein nachvollziehen. Der Bananen-Ton beim jungen Grünen Veltliner „Kellerselektion“ 2020 etwa mag Geschmackssache sein. Für den GV-Puristen verzerrt er den Gelben Apfel der Sorte zu einer tropischen Fratze. Doch die Bauers – es gibt fünf Kinder – sind ehrliche Leut‘ und haben auch kein Problem, den Einsatz von Reinzuchthefe anzugeben.
Doch wie das so ist mit neuen Wegen. Hinter mancher Engstelle geht es dann zügig weiter. Die Richtung jedenfalls heißt „Trinkspaß“. So würde es Norbert Bauer auf einen Wegweiser zu seinen Weinen malen. Ein anderes Wort dafür findet in unserer gemeinsamen Verkostung Sohn Wilfried „Willy“ Bauer: „Fructophilie“. Man liebt die Frucht und will sie herausarbeiten, das gilt selbst für einen relativen Exoten wie Riesling aus dem Pulkautal. Der „Diermannsee“ 2019 zeigt sich anfangs recht reduktiv und braucht viel Luft, bis die wilden Hörner am Glasrand abgestoßen sind. Dann kommt ein feines Bukett von Zitrusfrucht zum Vorschein, aus dem die Kumquat herausragt. Leicht herbe Noten und wenig Steinobst stehen hier zu Buche; etwas säurige Marille vielleicht? Dafür gibt es auch Sanddorn und Bergamotte zu erschnuppern.
Saftig ohne Ende und mit einem Spiel zwischen Süße und Säure, das an Zwiebelmarmelade erinnert, läßt sich der Riesling am Gaumen an. Hier zeigt sich der Zuckerspitz, den die Bauers in Kauf nehmen, deutlich. Aaaaber: Wirklich süß wirkt der „Diermannsee“ in keiner Phase. Im Gegenteil, die zitrischen Noten nehmen schnell das Zepter in die Hand. Im Finish gibt es wieder die Variation der saftigen Agrumen – vor allem fleischige-saftige Orange fällt einem als Analogie ein. Das Idealbild eines Rieslings mag das für viele nicht sein, die entweder klirrende Mineralik oder die Dosen-Pfirsich-kenntliche Fruchtschminke suchen. Als Wein allerdings kann man sich auf diesen trinkfreudigen Weinviertler aber schnell einigen. Zumal es ja genau dafür den dritten Weg des Weinguts aus Jetzelsdorf gibt. Das sich damit nicht zwischen den Stühlen platziert, sondern nur auf einem Winzerbankerl, auf dem halt nicht viel sitzen. Und Weine „zum Verstehen“ machen eh andere. Diese wollen eher getrunken werden. Auch da schlägt der sympathische Pragmatismus der Bauers durch. Weinglas-Empfehlung gibt es von Vater und Sohn Winzer nämlich keine. Trinken sollte man draus können. Reicht doch!
Die familiäre Prägung spielt bei dieser unverkrampften vinophilen Suche am dritten Weg mit: „Ich habe selbst mit knapp 18 Jahren im Betrieb Verantwortung übernommen“, reminisziert Norbert Bauer. Nachsatz: „Und ich bin wahnsinnig dankbar dafür“. Bereits sein Vater Karl Bauer jun. war ein vorausschauender Innovator, klingt durch („Er war kein Sammler“), wenn es um Artefakte aus den 300 Jahren Weinbau-Geschichte geht. Dieses Jubiläum feiert man heuer, denn mit 0,14 Hektar Weingarten begründete Michael Kastenhofer 1721 die Winzertradition. Bauer heißt man „erst“ seit 1825 am Hof.
Doch der Keller erzählt diese Geschichte auch ohne sentimentale Erinnerungsstücke. Mit ihm geht es auch zurück zu den Anfängen des Weinbaus im Pulkautal, in dem die fränkischen Grundherren den Lemberger einführten, also den Blaufränkischen, den man so gar nicht mit dem Weinviertel assoziiert. Doch dieses Grenzland hatte eben immer schon eigene Gesetze. Etwa einen Rotwein-Anteil, der vor 400 Jahren erstmals erhoben wurde und in Extremzeiten fast 90% ausmachte bei den Bauers. Und damit im vermeintlichen „Veltliner-Land“.
Der Bauch wird nicht kaschiert! „Alte Rebe“ 2019
Den Parade-Weißen gibt es natürlich auch am Weingut, er interessiert die Chefitäten aber weniger als junger Spritzer, sondern in seiner reiferen Erscheinungsform. Bei der „Alten Rebe“ des Jahrgangs 2019 darf sich die „Fructophilie“ Willy Bauers dann wieder Bahn brechen. Um den Alkohol knapp bei 13% zu halten, wird dieser Veltliner nicht gänzlich trocken durchvergoren, sondern hat knapp fünf Gramm Restzucker – ein Wert, der in Österreich immer noch Diskussionen wert ist. Doch lassen wir lieber den Wein sprechen als Analysewert-G’scheiterln. Die „Alte Rebe“ erinnert im ersten Kennenlernen bereits an tropische Früchte, die sich zwischen Bananen-Split und Mango-Lassi einpendeln. Ersteres stützt ein Anflug von gerösteten Mandelblättchen, zu dem sich auch Weiße Schokolade gesellt.
Wer jetzt schon das Häkchen bei „süße Fruchtbombe“ setzen will, darf den Stift aber wieder einpacken. Denn der Kostschluck lässt sich weitaus feingliedriger an. Gelbfleischig und saftig ist dieser Veltliner zweifelsohne, aber zu der saftigen Nektarine wird ab der Gaumenmitte auch Currypulver aufgetragen. Das sorgt für Spannung und Würze und bereitet die Bühne für das „Grande Finale“, in dem dann die Rückkehr der Exotik bejubelt werden kann. Denn die tropische Kraft verschwand ja nicht aus diesem Wein, sie lässt ihre Muskeln nur anderswo spielen. Und das tut sie ziemlich lange. Vorsorglich sollte man das Burgunder-Glas bereithalten. Denn dieser 2019er schrammt hart an der Reserve-Qualität vorbei. Er ist aber im Gegensatz zu vielen vordergründigen und Holz-lastigen Weinviertler Vertretern dieser Kategorie vielfältiger und ausgeglichener. Er trägt seinen Bauch quasi mit Stolz und nicht, weil er ihn nicht kaschieren kann.
Wein nicht zum Trinken, sondern so dick, dass Du ihn aufs Brot streichen kannst.
Norbert Bauer über sein Rotwein-Ideal
Dass Norbert Bauer säurigen Rotweinen nichts abgewinnen kann, überrascht wenig. Selbst dem als „Wasserl“ verschrienen Blauen Portugieser gewährt er eine kräftige Gangart, die man auch als Mut-Injektion für diese mengenmäßig starke, am Markt aber praktisch nicht präsente Sorte lesen kann. Und mit 35% Rotwein-Anteil am Weingut plädiert er auch für den Zweigelt, jene Sorte, die schon angesichts ihrer Menge keine gute sein kann. Allerdings kommt sie bei den Bauers auch nicht als amethystfarbene Dünndruck-Ausgabe von Rotwein daher. Der verkostete 2016er steht noch nicht einmal im Webshop, wo man derweil noch den Jahrgang 2015 der Zweigelt Reserve vom Schatzberg auslobt. Denn diese Weine brauchen Zeit. Ob die vielen Zigarrenkäufer und Kosmetik-Exilanten wissen, dass sie an einem herausragenden Weinberg vorbeifahren, wenn es in die „Excalibur City“ geht? Und absurder Weise ist der feine Wein auch günstiger als so manche Flasche Wodka dort.
Inhaltlich jedenfalls überzeugt dieser Weinviertler Rotwein, auch wenn man sich generell Zweigelt mit Vorsicht nähert. Doch neben der Flaschenreife und der warmen Lage ist es auch eine extreme Ausdünnung, mit der man hier an der „Fructophilie“ in Rot arbeitet. Der Duft erzählt davon noch wenig, hier fährt das säurige Erbteil der Rebsorte aus. In einem Comic würde man eine rote Wolke zeichnen: Rooibos-Tee, Weichsel, ja eigentlich Kornellkirsche („Dirndl“) ist zu bemerken. Am Gaumen hingegen regiert die Brombeere. Und das satt und unübersehbar. Balanciert wirkt die dunkle Frucht dennoch. Und das bis hin zu der Perversion, dass man sich ertappt, wie man auf Espresso-Noten wartet. Sie wären jetzt eigentlich angesagt als röstiger Gruß des Fasses. Doch sie bleiben aus. Der „Schatzberg“ hat aber noch eine Pretiose, die er stattdessen anbietet. Gewürznoten bringen eine süße Note ein, die sich aus Nelken und etwas Zimt speist. Der Wein hält das aus, denn im Zweifel zeigt dieser 2016er bei aller Nachdrücklichkeit doch immer eine kühle Beerenfrucht.
Ein bisschen wie das stets zu kalt servierte Hollerkoch von der Oma wirkt dieser Zweigelt. Und das war am Ende auch immer leer. Ein kleines Lorbeerblatt schickt als letzten Gruß dann noch eine Geschmacksnote, die bestätigt, dass man mit der Zweigelt Reserve keine reine Fruchtbombe vor sich hat. Sondern einen Roten, der definitiv den dritten Weg eingeschlagen hat. Tertium datur!
Bezugsquelle:
Weingut Norbert Bauer, Riesling „Ried Diermannsee“ 2019 ist um EUR 8,20 zu haben, der Grüne Veltliner „Alte Rebe“ 2019 um EUR 9,20 und die Zweigelt Reserve „Ried Schatzberg“ 2016 kostet EUR 11,20, alle ab Hof bzw. im Webshop, www.bauer-wein.com