So stellen sich Piemonteser vor: „Ich heiße wie der Wein, nur mit O statt A am Ende“, meint Luigi Barbero bei unserem ersten Treffen. Er ist aber kein Winzer, auch Trüffel sind nicht das Metier des unweit von Alba beheimateten Signore Barbero. Er stellt als einer von drei Eigentümern den ungewöhnlich weichen Sibona-Grappa her. Der kleine Einser auf den markanten Apotheker-Flaschen von Sibona signalisiert noch, „dass wir die erste Brennlizenz im Piemont erhalten haben“, so Barbero. Gegründet wurde die Destillerie von der namensgebenden Familie, von Gründer-Sohn Domenico Sibona erwarben die Barberos dann das Unternehmen.
Antithese zum Bauern-Grappa
Wenn es um Grappa geht, herrschen im Grunde zwei Philosophien in Österreich. Ehrliche, hantige „Bauern-Grappe“ fordern die einen ein, möglichst weiche und im Idealfall fast nicht mehr als „Treberner“ erkennbare Brände die anderen. Wobei unter denen, die Grappa mögen, die erste Fraktion gefühlt in der Mehrheit sein dürfte. Sie werden es schwer haben mit Sibona. Denn das alte Image des Destillats „für Bauern und Soldaten, hart arbeitende Leute“, wie es Barbero nennt, taugt ihm selbst weniger. Die technischen Möglichkeiten ließen heute weit zugänglichere Abfüllungen zu, so der pragmatische Piemonteser.
Als Beispiel darf der Moscato-Brand mit zartem Holz-Einsatz gelten. Statt der Klebstoff-artigen Note oder dem Hefeton vieler Grappe findet sich schon beim ersten Destillat des Abends eine fruchtige Melange. Die Muskattraube riecht eher nach Weingartenpfirsich, dazu kommt auch eine traubige Note, die an das Ausgangsmaterial erinnert, aber wie geeiste oder eben gelierte Trauben duftet. Rund und mit zarter Honigsüße ausgestattet, schmeckt der erste Schluck eher nach einem Fruchtbrand, erst nach einigen Minuten meldet sich der leichte Hefeton, womit man die erste Sibona-Lektion gelernt hat: Es sind komplexe Produkte, die sich langsam öffnen. Oder anders gesagt, inkognito schon Trinkspaß machen, ehe sie als Grappe verblüffen.
Metamorphosen-Jack aus Tennessee
Noch deutlicher wird diese Vielseitigkeit bei einem gelungenen Experiment, auf das Ing. Barbero zu Recht stolz ist. Der Grappa reift hier in Whiskey-Fässern aus Tennessee, genauer gesagt in gebrauchten Casks von Jack Daniel‘s. Das wird meist nicht dazu gesagt, aber in diesem Rahmen gibt es der Sibona-Chef schon mal preis. Wichtiger ist ohnehin, wie sich dieses ungewöhnliche Finish auswirkt (Weinfässer und auch Port- und Sherry-Casks sind ja nicht unüblich in Italien). Da gibt es gleich drei Antworten, denn der Duft erinnert so gar nicht an Bourbon, sondern an rauchigste Single Malts. Selchspeck und Rauch strömen aus dem Glas. Erst zehn Minuten später hat der Tennessee Whiskey Wood Finish seinen Grappa-Moment. Doch auch dabei bleibt es nicht, wenige Zeit später meldet sich dann das US-Erbteil im Geruch: Toffee und etwas Malz ist dann zu riechen. Am Gaumen zeigt er zwar nur zwei Gesichter, aber auch hier verblüfft die Veränderung. Zunächst ganz mild, lediglich mit etwas Pfefferwürze ab der Mitte, schiebt sich erst allmählich die Milchschokolade in den Vordergrund, ganz am Ende allerdings hat sich eine Metamorphose vollzogen; weich und schokoladig wie ein „Milky way“, mit zartem Karamell, klingt der anfangs verhaltene Grappa aus.
Experimente prägen aber nicht nur bei den Fasshölzern die Philosophie; analog zu den Fass-Stärken-Whiskies füllt man auch einen „Tuttogrado“ bei Sibona, ein mächtiges Gerät mit 57,5% Alkohol. Wir blieben aber auf der sanften Seite; ein Art „Best of“ der Rebsorten des Piemont stellt der aus Trebern von Nebbiolo, Barbera und Barolo gewonnene „X.O.“ dar, bei dem man sich – der Name signalisiert es – an der Charente orientiert hat. Tatsächlich erinnert der 2005 destillierte und sechs Jahre im Fass gereifte Brand an Cognac, allerdings weniger im Duft, der Schokolade, Piment und viel Haselnuss mitbringt. Der erste Schluck allerdings liefert dann eine cognac-artige, zart ölige und recht traubige Vorstellung. Allmählich kommen die roten Früchte zum Vorschein, unglaublich intensiv merkt man Himbeer-Aromen, dazu eine satte Dosis Vanille aus den Fässern. Weich und angenehm klingt dieser „dunkle“ Grappa aus.
Game-Changer für Grappa: Barolo Riserva 2001
Das Glanzstück, das Luigi Barbero mitgebracht hatte, ist kaum mehr erhältlich, ein fassgelagerter Grappa aus dem Jahr 2001, der gut sieben Jahre später in die Flasche kommt, hat das Zeug, den Blick auf die Spirituosen-Kategorie zu verändern. Wenn man das will, wie gesagt, denn wer Grappa zum „Korrigieren“ des Caffé trinkt, kann damit weniger anfangen. Intensiv und opulent wandert die Nase zwischen den Eckpunkten Dörrmarille, Schokolade, Kokosraspel und Kletzenbirne umher. Saftig und mit Trockenobst präsentiert sich der Barolo Riserva (um auch die Rebsorte nachzutragen) in der Verkostung; erst langsam – das hatten wir schon – schält sich aus der Saftigkeit die Grappa-Aromatik, im Finale kommt auch die Würze durch, Kakao und deutliche Orangenzesten-Anklänge bleiben lange haften.
Etwas jünger, aber auch mit einer Fassreife von sechs Jahren versehen, ist dagegen der 2003er Moscato Riserva. Der deutlich größere Bruder unseres Einstiegsgrappas hat dessen fruchtige Art gut beibehalten, selbst der Weingarten-Pfirsich wird uns wieder begegnen. Denn ein ganzes Bündel an Zitrusfrüchten scheint ins Glas gepackt, HIRSCH-Seife (aus der wir früher Autos schnitzten im Werk-Unterricht), aber auch ein gerüttelt Maß Orange, erinnert an Aranzini, dann kommt aber auch wieder Pfirsich durch – kurz, eine echte Fruchtbombe. Am Gaumen geht das so ähnlich weiter, wieder gelbfruchtig, dazwischen aber auch mit einer Prise weißem Pfeffer durchsetzt, schmeckt dieser gereifte Piemont-Moscato. Getrocknete Ananas schmeckt man, Golden Delicious-Apfel und am Ende gar gelbe Paprika, die eine süß-saure Schluss-Aromatik einleiten.
Bezugsquelle:
Sibona, der Grappa di Moscato ist um EUR 24,90 (0,5 Liter), der „Tennessee“-Grappa Riserva „Botti da Whiskey“ um EUR 33,90 (0,5 Liter) erhältlich, der fass-gereifte „Grappa di Barolo Riserva“ 2001 ist um EUR 114,90 (0,7 Liter-Flasche) und der „Grappa Riserva di Moscato“ 2003 um EUR 108,90 (0,7 Liter) zu haben, alle bei Buongustaio, www.buongustaio.eu